Musikgeschichte - Gymnasium
Die Entwicklung einer Mehrstimmigkeit nahm im 9. Jahrhundert vom gregorianischen Choral seinen Ausgang. Man fügte zum Gregorianischen Choral (nun = Cantus Firmus) weitere Stimmen (= Organumstimmen) hinzu, welche jedoch nur im Abstand bestimmter Intervalle zum Cantus Firmus verlaufen durften.
"Musica enchiriadis" ist der Titel eines Traktats zum Singen des Organums aus dem 9. Jahrhundert n. Chr. Dieses „Handbuch" fällt somit in die Frühphase der abendländischen Mehrstimmigkeit und beschreibt ausschliesslich das Quintorganum und Quartorganum. Das heisst, dass sich die Stimmen überwiegend in paralleler Bewegung stets im Quint- oder Quartabstand zueinander bewegen. Ausnahmen bilden hier der Beginn und das Ende eines Gesangs. Die Stimmen kommen aus dem Einklang (Prim) und bewegen sich auf die Parallelbewegung (Quarte/Quinte) zu; zum Beenden des Gesanges laufen die Stimmen wiederum aufeinander zu, um wiederum im Einklang (Prim) zu schliessen.
Beispiel des rein parallelen Quintorganums "Tu patris sempiternus":
In Paris wird in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts damit begonnen, die Kathedrale Notre Dame zu errichten. Hier entsteht um 1200 ein grosses Repertoire von zwei- bis vierstimmigen Organa. Die Basis bildet der "Magnus liber organi de gradali et antifonario" von Magister Leonin, eine Sammlung von zweistimmigen geistlichen Gesängen. Perotin wird es zugeschrieben, diese Organa später auf drei oder gar vier Stimmen erweitert zu haben.
Die drei Gattungen des Organum:
Im Organum purum (und theoretisch auch der zweistimmigen Copula) kann ohne Probleme mehrstimmig gesungen werden, ohne dass der Rhythmus definiert werden soll. Mit der mehrstimmigen Copula und dem Discantus aber muss man die Stimmen rhythmisch ordnen können, damit die richtigen Töne an der richtigen Stelle gleichzeitig erklingen. So wird eine neue Art der Notation notwendig: Die Modalnotation erlaubt es zum ersten Mal überhaupt, auch Rhythmen eindeutig zu bestimmen. Damit koppelt sich die Entstehung der Musik ein Stück weit von ihrem Vortrag ab: Man schreibt nicht mehr auf, was man singt, sondern kann den musikalischen Verlauf bereits vorher festlegen. In Paris wird die Wandlung von einer schriftlich fixierten Aufführungspraxis zu eigentlicher (wenn auch noch funktionalen und nicht künstlerisch/werkhaft bedingten) Komposition fassbar.
Es wird von sechs sogenannten Modi (nicht zu verwechseln mit dem Begriff Modi für die Kirchentonarten) ausgegangen, welche je eine Abfolge eines Rhythmus als eine Art Modell darstellen. Dabei zeigt die Folge von sogenannten Ligaturen, also von zu einem Zeichen zusammengefassten Tongruppen, eine bestimmte Folge von rhythmischen Werten an. Dies geht auf einen der ältesten bekannten Traktate, der unter anderem die Modalnotation behandelt, zurück: "de mensurabili musica" von Johannes de Garlandia. Als Beispiel würde eine Folge von Ternaria (Dreierligatur) - Binaria (Zweierligatur) - Binaria einen 1. Modus anzeigen und konventionell die Folge lang-kurz-lang-kurz-lang-kurz-lang ergeben. Eine Folge von Binaria - Binaria - Ternaria stellt einen 2. Modus dar und ergibt die Werte lang-kurz-lang-kurz-lang-kurz-lang. Diese und die weiteren Modi sind in der folgenden Abbildung schematisch dargestellt.
Diese rhythmischen Modi sind zumindest vom System her der antiken Metrik ähnlich und wurden wahrscheinlich im Zuge einer Annäherung der Musik vom Quadrivium hin zum sprachlichen Trivium der Metrik entlehnt. Vergleiche dazu die Versfüsse der antiken Metrik (- = betont, u = unbetont):
Man hört ab 0:11 in den beidem Oberstimmen deutlich den Rhythmus lang-kurz-lang-kurz etc. im Verhältnis 2:1, was dem metrischen Versmass des Trochäus entspricht. Tatsächlich lassen sich in der Handschrift zu Beginn nach der langen Note die Muster 3er-/2er-/2er-Ligatur finden: Musikalisch bedeutet das also ein erster Modus, was in einer modernen Übertragung Viertel-Achtel etc. entsprechen würde.
Die Cantus Firmus-Stimme (=Tenor/Liegestimme) stammt aus dem gleichnamigen gregorianischen Choral, der zur "matutinae" des "nativitas domini" also in der morgendlichen Weihnachtsmesse, gesungen wurde:
Hilfsmittel:
Aufgaben:
Die tiefer singende Person wählt dabei eine möglichst tiefe noch singbare Lage aus, die höher singende Person versucht, im Quart- oder Quintabstand zu beginnen und die Stimme parallel zu halten.
Versucht dies zuerst langsam und, falls es euch einfacher fällt, ohne Text. Kontrolliert allenfalls mit einem Keyboard/Klavier-App.
Singt eure Organa der Lehrperson (oder in der Klasse gegenseitig) vor.
Macht anschliessend ein Foto von deiner Notation und stellt sie zur Besprechung im Plenum auf die Cloud (Benenne das Dokument im Format "MG_4_4_Name(n)_Klasse"):