Musikgeschichte - Gymnasium
Das Madrigal ist eine neue Kompositionsgattung der Renaissance mit mindestens drei Stimmen. Der Inhalt ist dabei meist weltlich und kommt daher in den europäisch gebräuchlichen Sprachen vor, also etwa Italienisch, Französisch, Englisch oder auch Deutsch.
Im Madrigal wurde extrem auf die ausdeutende Vertonung des Textes Wert gelegt. Die Musik war also ganz klar vor allem dazu da, die Botschaft des Textes zu unterstützen und zu verstärken. Dies ist auch der Grund, weshalb reine Instrumentalmusik abgesehen von Tanzmusik in der Renaissance viel weniger häufig vorkommt.
Affekte möglichst eines jeden affekthaltigen Wortes werden speziell hervorgehoben. Diese Texthervorhebung nennt man Madrigalismus. Z.B. rasche Bewegung zu "vita" (Leben), langsame Bewegung mit Halbtönen zu "dolor" (Schmerz), oder Trennung durch Pausen zu "suspirare" (Seufzen). Dazu sind aber auch Abweichungen von Regeln sehr beliebt um Worte auszudeuten. Wichtigste Möglichkeiten sind Ascensus (Aufstieg der Melodie), Descensus (Abstieg der Melodie), um oben, unten, und damit assoziierte Begriffe anzuzeigen, Gegenbewegungen für "umkehren", "entgegengehen" etc., schnelle und langsame Bewegung für entsprechende Begriffe (auch freudige oder traurige) oder kurze Rhythmuswerte für Junges/Neues und lange Werte für Altes. Tripeltakte gelten als tänzerisches Element und so eher freudig. Punktierter Rhythmus gilt auch als tänzerisch, aber auch als kämpferisch und streitend.
Eigentlich unschickliche Wiederholungen von Tönen werden als schmerzlich empfunden, oder dienen zur Nachahmung von Trompeten oder Glockenklängen, z.B. zur Darstellung des Jüngsten Gerichts, für Ankündigungen von Krieg oder zeigen Herrschertum und Macht. Phrasenwiederholung passt zur Darstellung von Fortwährendem, Ewigem oder einfach Schlechtem. Chromatik gilt als Mittel, Neues anzuzeigen, Halbtöne werden als etwas Hartes, Bitteres aufgefasst und stellen Leiden und Sünde dar, wie auch beabsichtigte Satzfehler im Allgemeinen.
Die Satzweise des Fauxbourdon (vgl. Grundlagen) hat drei Hauptaffekte: eine schlechte Satzweise, der es an Diversitas (übliche Abwechslung) fehlt, also für negatives, wie Trauer, Tod, Armut etc; aber auch um die Zahl drei hervorzuheben, als dreistimmiger Satz, bei "tertia die" (dem dritten Tag [der Auferstehung]) etwa, oder der Trinität, oder nur dem heiligem Geist; schliesslich steht sie für etwas Altes, Vergangenes, weil sie zu dieser Zeit bereits eine alte Setzweise darstellt. Ebenfalls gibt es modale Wortausdeutungen. Etwa die "clausulae peregrinae", also fremde oder schwache Klauseln an Stellen, wo Sünde, Bosheit, Übel aber auch Irrtum, körperliche Verletzung, Unwissenheit, Torheit, Vergessen, Verwirrung, List, Täuschung oder Versuchung. Auch zum Ausdruck des Andersseins, für Untergeordnetes oder einfach für allgemein negative Begriffe. Vor allem auch die unglückliche Liebe wird oft so dargestellt. Der Halbtonanschluss und damit die phrygische Kadenz sei ein Mittel, um Liebe in Musik besonders gut zu zeigen.
Ein Moduswechsel komme vor bei Sünde, Unwissenheit, Verwirrung, Ungewissheit, schwanken, Schädigung, wegnehmen, weggehen, entfernt sein, hinzutreten, Feindschaft, Schmerz, Erbarmen, etc. Sehr beliebt sind Moduswechsel bei der Verwandlung von unbelebten Dingen. Etwa, wenn die Liebe vergeht, beim Schmelzen von Schnee, Erweichen von Steinen oder ähnlichem. Auch die strenge oder pointierte Beachtung des Modus könne textausdeutend sein. Kadenzen in reiner Form, klare Soggetti, ambitusstarke Fugae stehen etwa für Gutes, Wahres, Schönes, Gesetz, Gerechtigkeit, Erkenntnis, Wahrheit, Klarheit, Treue, Beständigkeit, Tapferkeit, Sanftheit, Lieblichkeit, Reinheit, Schönheit, Gott finden, geheilt/gerettet werden.
Ein sehr deutliches Beispiel lässt sich bei Lassos Madrigal "Es thut sich als verkeren" finden. Am Anfang wird das Motiv (Soggetto) des Soprans bei der Imitation im Alt gleich umgekehrt. Es tut sich eben "alles verkehren". Dasselbe Spiel wird im Tenor und Bass gleich anschliessend wiederholt:
Im obigen Beispiel lässt sich die in der Renaissance sehr verbreitete und konsequente Anwendung der Polyphonie beobachten und hören. Ein polyphones Stück beginnt mit einem einzigen Motiv, dem sogenannten Sogetto. Dieses wird von einer anderen Stimme imitiert, also kurz darauf später wiederholt, meist auf einer anderen Tonhöhe (oft im Verhältnis der Quarte/Quinte zum Originalsogetto). Dass sich das Sogetto bei der Imitation umkehrt ist sehr unüblich und wird von Lasso im obigen Beispiel nur aufgrund der besonderen Textausdeutung gemacht.
Später verlaufen die Stimmen nicht im selben Rhythmus und Kadenzieren auf das Ende eines Textabschnitts ab (oben z.B. in T.6 leicht verschoben zueinander [eine sogenannte Cadenza fuggita] in einen c-Klang [modern: C-Dur], auf "Zeit").
Mit der Neuerung der Polyphonie ändert sich auch die Gewichtung der verschiedenen Stimmen. Beim alten Ars-Nova-Satz waren Tenor und Cantus als gerüstbildende Stimmen absolut zentral. Die übrigen Stimmen (Contratenor altus/bassus etc.) waren Füllstimmen und konnten auch improvisiert oder weggelassen werden. Nun erhalten dank des imitierenden Verlaufs der Polyphonie alle Stimmen die Gleichberechtigung.
Bei der Anwendung der Homophonie sind die Stimmen rhythmisch simultan ablaufend. Kleine Abweichungen wie Vorausnahmen/Verzögerungen sind möglich. Ein Beispiel dazu wäre Lassos "Matona mia cara":
Sehr häufig werden Homophonie und Polyphonie im selben Lied auch gemischt. Wie etwa bei Claudio Monteverdis Madrigal "Si ch'io vorrei morire", welches am Anfang homophon beginnt und ab 1:00 zum polyphonen Satz wechselt:
Die Motette der Renaissance bezieht sich nun nicht mehr auf eine isorhythmische Satzweise wie noch in der Ars Nova. Eher entspricht sie dem Kompositionsstil des Madrigals, jedoch mit lateinischem Text, da sie nun klar geistlichen Inhalt hat. Allgemein lässt sich sagen, dass in Motetten im Vergleich zu den Madrigalen oft grössere Notenwerte verwendet werden und sie deshalb einen etwas ruhigeren Melodiegestus haben. Obwohl das Verständnis des Textes bei geistlicher Musik dieser Zeit im Vordergrund steht und deshalb die homophone Satzweise häufiger Verwendung findet (vgl. unten die Kapitel zu Messvertonungen und Palestrina), werden durchaus auch polyphone Satzweisen eingesetzt. Auch Madrigalismen als textausdeutende Elemente kommen häufig vor. Ein Beispiel einer Motette, wo man ebenfalls sowohl auf die polyphone als auch auf die homophone Satzweise trifft, wäre Tomas Luis de Victorias "O magnum misterium" (1572):
Als Vergleichsschema kann folgende Grafik dienen:
Messvertonungen sind musikalische Kompositionen, denen die Texte der heiligen Messe der katholischen Liturgie zugrunde liegen (siehe Mittelalter - Gregorianischer Choral - Liturgie). Neben den gleich bleibenden Texten (Ordinarium), welche praktisch immer Bestandteile von Messvertonungen sind (Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus - Bendictus, Agnus Dei, evtl. Ite missa est), werden in manchen Kompositionen auch einige der nach dem Kirchenjahr oder Anlass veränderlichen Texte (Proprium) vertont. Eine Messe zu ehren eines/r Verstorbenen wird Requiem genannt.
Als früheste Messvertonung gilt die "Messe de Nostre Dame" von Guillaume de Machaut um 1364, also der Ars Nova. Sie ist die erste erhaltene Vertonung eines vollständigen Messordinariums, die von einem namentlich bekannten Komponisten stammt, und zugleich die älteste bekannte Messe im vierstimmigen Satz. Besonderes musikalisches Mittel ist in dieser Komposition wiederum die Isorhythmie.
In der Renaissance ist die Komposition zusammenhängender Messen, gemeint ist damit seit dieser Zeit das Ordinarium, die Regel. Meist liegt der Komposition ein Cantus firmus (Vorlagestimme, z.B. aus dem Gregorianischen Choral) zugrunde. Zu den herausragenden Komponisten von Messen zählten damals unter anderem Guillaume Dufay und Johannes Ockeghem.
Um 1500 erreicht diese Musikgattung mit Josquin Desprez ihren ersten Höhepunkt. Er entwickelt die Parodiemesse, bei der die Melodie einer Vorlage, z.B. eine Motette, aufgegriffen wird und in Teilen für die Messe nun mit neuem Text (nämlich dem Messtext) Verwendung findet. Dabei können auch längere mehrstimmige Passagen parodiert werden.
Hier hören wir als Beispiel die bekannte "Missa L'Homme Armé" von Guillaume Dufay, welche das damals populäre Chanson "L'Homme Armé" als Cantus Firmus-Vorlage verwendet, wie man im Video gut erkennen kann: Das Chanson wird hier der Messe vorangestellt und in den Noten im Tenor bezeichnet.
Giovanni Pierluigi da Palestrina stammte aus dem Städtchen Palestrina in der heutigen Provinz Rom, südöstlich von Tivoli, wo er um 1525 geboren wurde; er starb 1594 in Rom. 1544–51 war er Organist und Kapellmeister in seiner Heimatstadt; danach kam er in Rom an die Peterskirche als Magister puerorum (Lehrer der Singknaben) und wurde noch im selben Jahr zum Kapellmeister befördert. Er widmete dem Papst Julius III. sein erstes Buch mit Messvertonungen, und dieser berief ihn 1555 in das Sängerkollegium der Sixtinischen Kapelle, obwohl Palestrina kein Priester und obendrein verheiratet war. Sechs Monate später entfernte ihn der nachfolgende Papst Marcellus II., der daran Anstoss nahm, wieder aus der Kapelle; doch erhielt Palestrina dafür nacheinander die besser besoldeten Kapellmeisterstellen an den beiden römischen Hauptkirchen San Giovanni in Laterano und Santa Maria Maggiore; 1571 kehrte er zur Peterskirche zurück.
Eine legendenumrankte Rolle spielte er bei dem Tridentiner Konzil 1545–1563, das der Gegenreformation diente. Die katholische Kirche überdachte insbesondere ihr Verhältnis zu Kunst und Musik, und um dem von protestantischer Seite erhobenen Vorwurf der Unmoral zu begegnen, liess man beispielsweise an allen Skulpturen, derer man Herr werden konnte, die Geschlechtsteile abhacken und übergipsen, ebenso wurden auf Gemälden mit Darstellungen nackter Körper schambehaftete Stellen mit Schleiern oder Feigenblättern übermalt. Aus der Liturgie entfernte man sämtliche Sequenzen bis auf vier (die Oster-, Pfingst-, Fronleichnamssequenz und das Dies irae der Totenmesse), erwog sogar die völlige Abschaffung aller mehrstimmigen Musik aus dem Gottesdienst und wollte so gleichsam mit dem Rückzug auf die karge Einstimmigkeit der Gregorianik den Eindruck sinnlicher (und somit sündiger) Klangpracht vermeiden.
Die untenstehende Abbildung zeigt eine Seite aus einem Musiklexikon des späten 18. Jahrhunderts, Gerbers Tonkünstlerlexikon, mit dem Artikel zu Palestrina. Er behandelt ausführlich die Legende vom "Retter der Kirchenmusik", die erstmals 1607 von Agostino Agazzari erzählt worden war, rasch Verbreitung fand (z.B. 1619 in Michael Praetorius’ "Syntagma musicum") und sogar 1749 in der päpstlichen Enzyklika "Annus qui", die Regelungen zur musikalischen Gestaltung des Gottesdienstes enthielt, Erwähnung fand.
Die betreffende Stelle bei Gerber lautet:
Ob Palestrina tatsächlich als musikalischer Ratgeber auf dem Tridentiner Konzil eine Rolle gespielt hat, lässt sich heute nicht mehr ermitteln – es wird sogar in der Musikforschung für unwahrscheinlich gehalten. Es ging bei den damaligen Reformbemühungen in erster Linie darum, die Textverständlichkeit mehrstimmiger Kirchenmusik zu gewährleisten. Offenbar wurde Palestrinas Musik als würdevoll, im Klangbild ausgewogen und als textverständlich angesehen. Sein Stil ist eine Synthese der Musik seiner Zeit; er ist einerseits ein Erbe der frankoflämischen Meister, hinzu kommen als italienisches Erbteil ein Streben nach Wohlklang und ein melodisch langer Atem. Die von Gerber erwähnte, 1562 entstandene Missa Papae Marcelli erschien 1567 in Palestrinas dem König Philipp II. von Spanien gewidmeten zweiten Messebuch. Die gute Durchhörbarkeit gerade in einem textlastigen Messteil wie dem Gloria erreichte Palestrina, wie man sehen und v.a. hören kann, durch einen homophonen Satz, kombiniert mit ständig wechselnden Stimmgruppierungen, sodass ausser am Ende die volle Sechsstimmigkeit meistens vermieden wird: Bei "Et in terra pax" pausieren z.B. Tenor I und Bassus I, bei "bonae voluntatis" Tenor II und Bassus II, "Adoramus te" ist nur dreistimmig (Tenor I und II, Bassus II).
Hilfsmittel:
Aufgabe:
Höre dir folgendes Lied an. Die folgenden Aufgaben beziehen sich darauf.
Mein Gmüth ist mir verwirret, das macht ein Jungfrau zart, bin ganz und gar verirret, mein Herz das kränckt sich hart, hab tag und nacht kein Ruh, führ allzeit grosse klag, thu stets seufftzen und weinen, in trauren schier verzag.
Ach dass sie mich thet fragen, was doch die uersach sei, warum ich führ solch klagen, ich wolt irs sagen frei, dass sie allein die ist, die mich so sehr verwundt, köndt ich ir Hertz erweichen, würd ich bald wider g’sund.
Reichlich ist sie gezieret, mit schön thugend ohn Ziel, höflich wie sie gebüret, ihrs gleichen ist nicht viel, für andern Jungfraun zart führt sie allzeit den Preiss, wann ichs anschau, vermeine, ich sei im Paradeiss.
Ich kann nicht ganz erzehlen, Ihr schon und tugend viel, Fur all’n wollt ich’s erwehlen, wär es nur auch ihr will, Dass sie ihr Herz und Lieb geg’n mir wendet allzeit, So wurd mein Schmerz und klagen, verkehrt in grosse Freud.
Aber ich muss auffgeben, und allzeit traurig sein, solts mir gleich kosten Leben, das ist mein gröste Pein, dann ich bin ir zu schlecht, darumb sie mein nicht acht, Gott wolts für leid bewahren, durch sein Göttliche macht.
Besprecht in der Klasse: Welche Stellen sind homophon, welche polyphon? Findet ihr auch hier Satzmodelle?