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Musikgeschichte - Gymnasium

Renaissance (15.-16. Jahrhundert) - Instrumentalmusik und Tanz

Übersicht

Mehrchörigkeit und Emanzipation der Instrumentalmusik

In der Renaissance wurden einige neue Instrumente entwickelt und eingesetzt. Bei den Streichinstrumenten etwa Gamben (spielt man in den Beinen [= Gamba]eingeklemmt) oder die Bratschen (spielt man auf dem Arm [=Braccio]) als Vorläufer der modernen Geige, Holzblasinstrumente wie der Dulcian (Vorläufer des Fagotts), Blechblasinstrumente wie der Zink (Flötenartiges Instrument mit Grifflöchern meist aus Holz, aber mit Kesselmundstück) oder die Renaissanceposaune (wird auch Sackbut genannt).

Es wurden häufig Instrumente als Klangverstärker am polyphonen Chorgesang beteiligt, die exakt mit den Gesangsstimmen, also colla parte, gespielt haben.

Ein Zentrum grosser, mehrchöriger Chormusik mit Instrumenten befand sich in Venedig, damals eine reiche und blühende Republik mit enormer Wirtschaftsmacht. Am Dom wirkten in der Mitte des 16. Jahrhunderts die zwei Komponisten Gabrieli (Onkel und Neffe) im Amt, danach wurde Claudio Monteverdi Domkapellmeister. Dank der baulichen Gegebenheiten des San Marco-Domes entwickelte sich hier die Mehrchörigkeit, also das Prinzip, mehrere Klangkörper einander gegenüberzustellen, wofür die vielen Emporen des Domes sich in idealer Weise anboten.

Tägliche Musikaufführungen spiegelten das Repräsentationsbedürfnis der stolzen Republik; Reisende und Besucher aus aller Welt bewunderten die Pracht und die Klangfülle der venezianischen Chor- und Instrumentalmusik.

Auch in England wurde die vokale Mehrchörigkeit geschätzt und praktiziert. Ein Höhepunkt stellt sicherlich Thomas Tallis' "Spem in alium" für 40 Stimmen (8 Chöre à 5 Stimmen) dar, welche quasi einen Surround-Sound erschaffen kann:

Andrea Gabrieli (1515–1586), der ältere Gabrieli, hatte die Mehrchörigkeit entwickelt. Er liess seinen Neffen Giovanni Gabrieli (1555–1612) bei Orlando di Lasso in München ausbilden. Giovanni, als Nachfolger seines Onkels, wurde einer der angesehensten Komponisten Europas, der einen grossen internationalen Schülerkreis um sich scharte, darunter etwa der wichtige frühbarocke Komponist Heinrich Schütz.

Gabrieli entwickelte die Instrumentalmusik und die mehrchörige Vokalmusik erheblich weiter. Eindrucksvoll lässt sich dies in seinen "Symphoniae Sacrae" erkennen. Dies sind mehrchörige Werke mit bis zu 19 Stimmen in bis zu sechs Chören, bei denen der Begriff Symphonie ganz wörtlich gemeint ist als "Zusammenklingen", als Miteinander von Gesangsstimmen und Instrumenten. Auch den Begriff "Sonate" im Sinne von "Klingstück" (für Instrumentalwerke) hat Gabrieli als erster geprägt. Durch diese Entwicklung konnte sich die Instrumentalmusik von der Vokalmusik lösen und in diesen Stücken eigenständig werden.

Giovanni Gabrieli: "Sonata pian' e forte" (ab 23:43), aus den "Sacrae Symphoniae":

Einen sehr guten Eindruck der heutigen historisierenden Musikpraxis des mehrchörigen Musizierens gibt das folgende Video der Klosterkirche Muri AG:

An den venezianischen mehrstimmigen Chorwerken wirkten neben Sängern und Bläsern auch Orgel, Laute oder andere Akkordinstrumente mit, für die man mangels Partitur eine Spezialstimme anfertigen musste, den sogenannten basso seguente, dem man ausserdem Ziffern hinzusetzte, die bestimmte zu spielende Akkorde bezeichneten.

Man war sich demnach bewusst, dass Mehrstimmigkeit mit einer so grossen Zahl an Stimmen nicht mehr wirklich polyphon gestaltet werden konnte, sondern auf einem harmonisch-akkordischen Gerüst beruhte, dessen Essenz sich in akkordabkürzenden Ziffern ausdrücken liess.

Der basso seguente entstand, indem man die jeweils tiefste erklingende Stimme aufschrieb; das konnte einmal der Bass im ersten Chor, ein andermal der im zweiten Chor sein, vielleicht aber auch einmal für einige Töne der Tenor oder ein Blasinstrument in einem anderen Chor etc. Aus dieser in der venezianischen Mehrchörigkeit praktizierten Technik, auf der Orgel (oder einem anderen Akkordinstrument) die tiefste Stimme des Tonsatzes, sein harmonisches Fundament, mitzuspielen und durch passende Akkorde zu ergänzen, entstand der Basso continuo, der Generalbass, welcher im Barock ausführlicher thematisiert wird.

Aufgabe 9: Recherche zu wichtigen Begriffen der Instrumentalmusik

Hilfsmittel:

Bildet 3er-Teams und teilt euch jeweils auf, um die folgenden drei Besetzungsgattungen zu recherchieren (jede/r Schüler:in ein Thema).

Recherchiert vor allem folgende Punkte und notiert diese (handschriftlich oder digital):

  1. Begriff allgemein
  2. Besetzung (Instrumente, welche vorkommen)
  3. Einsatz (wofür wurde welche Besetzung verwendet)
  4. Finden eines Hör-/Videobeispiels der entsprechenden Besetzung

Kommt anschliessend wieder zusammen und informiert euch in den 3er-Teams gegenseitig. Stellt gegenseitig oder bei der Lehrperson Fragen bei Bedarf, bis ihr euch sicher seid, dass ihr den Sachverhalt verstanden habt.

Denkt bei der Recherche daran, dass die verwendeten Quellen seriös sind! Folgende Grafik fasst den Anspruch an eine seriöse Quelle treffend zusammen:

Seriöse Quelle

Setzt euch schliesslich in den übergreifenden "Expertengruppen" (jeweils jene Personen der Gruppen mit derselben recherchierten Besetzungsgattung) zusammen und bildet eure Besetzungsgattung mittels einer möglichst aussagekräftigen und prägnanten (A4-Seite) Darstellung als Übersicht ab.

Macht ein Foto von eurer Darstellung und stellt sie zur Besprechung im Plenum auf die Cloud (Benennt das Dokument im Format "MG_9_Namen_Klasse"):

https://cloud.ksso.ch/index.php/s/WoJsTqbdwk8ZLLi

Tanzmusik

Aus der Renaissance sind einige Tanztraktate überliefert. Darin werden explizit Melodien mit den dazugehörigen Tanzschritten wiedergegeben. Bekannte Tanztraktate stammen etwa von Cesare Negri ("Le Gratie d'Amore", 1602) oder von Thoinot Arbeau ("Orchésographie", 1588), der eigentlich Jehan Tabourot hiess und sich wegen seinem Beruf als Kanoniker/Domherr für die Herausgabe von weltlicher Tanzanleitung sein anagrammiertes Pseudonym zulegen musste.

Die Tanztraktate sind also nicht nur als Quelle für Tanzanweisungen sehr wichtig, sondern auch als solche für Instrumentalstücke, da man diese in jener Zeit eben immer noch auswendig gespielt hat und nicht notiert hat.

Die "Orchésographie" ist pädagogisch aufgebaut. Der Autor Arbeau stellt sich in den Dialog mit seinem Schüler Capriol, welchem er die Instrumentierung, alle Grundlagen des Tanzes, sowie die Ausführung verschiedener Tänze erklärt.

Titelblatt der 'Orchésographie' 'Orchésographie', S.2r

Titelblatt und Beginn des Dialogs zwischen Arbeau und Capriol (S.2r), aus Jehan Tabourot (Thoinot Arbeau): "Orchésographie", Langres 1596 (2. Druck), vgl. online: https://ks.imslp.net/files/imglnks/usimg/3/31/IMSLP30806-PMLP15048-Orch%C3%A9sographie.pdf, aufgerufen am: 25.7.2021

Die einzelnen Schritte werden im Dialog genau erklärt und mit Bildern illustriert:

'Orchésographie', S.33v 'Orchésographie', S.34r

Anleitungen zu den Schritten "Branle" (S.27r) und "Reverance" (S.40v), aus Jehan Tabourot (Thoinot Arbeau): "Orchésographie", Langres 1596 (2. Druck), vgl. online: https://ks.imslp.net/files/imglnks/usimg/3/31/IMSLP30806-PMLP15048-Orch%C3%A9sographie.pdf, aufgerufen am: 25.7.2021

Als Beispiel einer Tanzanleitung sehen wir hier den Beginn der "Basse Danse" (Schreittanz) mit der Melodie "Jouyssance Vous Donneray", bei Arbeau als Noten überliefert, inklusive Tambourbegleitung und den dazugehörigen Schritten, wie "Reverance", "Branle", "deux Simples", "Double" etc., welche vorher im Traktat der/dem Lesenden erklärt wurden und jeweils unterhalb der Notenzeilen als Anweisung stehen.

'Orchésographie', S.33v 'Orchésographie', S.34r

Anleitung zur "Basse Danse" (S.33v ff.), aus Jehan Tabourot (Thoinot Arbeau): "Orchésographie", Langres 1596 (2. Druck), vgl. online: https://ks.imslp.net/files/imglnks/usimg/3/31/IMSLP30806-PMLP15048-Orch%C3%A9sographie.pdf, aufgerufen am: 25.7.2021

Einen Eindruck dieses Tanzes liefert folgendes Video:

Aufgabe 10: Einstudieren von Renaissancetänzen

Hilfsmittel:

Bildet Gruppen à min. 8 Schüler:innen.

Versucht folgende Tänze einzustudieren:

(Anleitungen nach Oliver H. Herde: "Das Tanzbuch - Historische Tänze", Berlin 2021, vgl. online: http://ohher.de/sonstige/Tanzbuch.pdf, aufgerufen am: 26.7.2021)

  1. Branles
  2. Generell: Diese Tänze werden im Kreis getanzt. Die Schritte nach links sind bei Kreistänzen grösser als nach rechts, um dem Kreis eine Vorwärtsbewegung zu geben. Jene wird durch eine Asymmetrie der Figuren oftmals verstärkt.

    1. Branle Double
    2. 1-4[Schläge] Double links, 5-8 Double rechts
      1-4 Double links, 5-8 Double rechts

      Die Schritte werden hier veranschaulicht (ohne Unterschiede in Grösse der Schritte links/rechts):

      Als Improvisationselement kann man auf eine halbe Double (=Simple) drei Hüpfer mit links (=linkes Bein in der Luft) beginnend beliebig einfügen. Dies wird hier ersichtlich (bei ca. 0:16):

      Wenn man den Tanz im Kreis beherrscht, kann man die Originalform ausprobieren: Bei dieser hält man sich an den Händen und vollführt eine Art "Party-Polonaise", d.h. das vorderste Paar tanzt durch den Raum, führt alle anderen hinter sich her und macht allfällige Figuren wie hier eine "Schnecke".

      Audio zum Tanzen ("Branle Double", Interpr: "Musica calamus", CD: "Medieval Dances, Vol. 2", ℗ 2013):

    3. Branle des Chevaux (Pferdereigen), Kreistanz in Paaren
    4. A-Teil (mit allen im Kreis)

      1-4 Double links, 5-8 Double rechts
      1-4 Double links, 5-8 Double rechts
      1-4 Double links, 5-8 Double rechts
      1-4 Double links, 5-8 Double rechts (beim letzten Schritt zum Partner wenden)

      B-Teil (mit Partner:in)

      1-2 Herren scharren/stampfen zweimal rechts (Damen pausieren 1-8)
      3-4 Herren Simple nach rechts
      5-8 Herren ganze Drehung über linke Schulter nach hinten (im Gegenuhrzeigersinn)
      1-8 Damen wie zuvor die Herren (Herren pausieren)

      Es folgt der A-Teil etc.

      In folgendem Video ist der Tanz schön zu sehen:

      Audio zum Tanzen ("Bransle Des Chevaux", Interpr: "Strada", CD: "A La Via!, Street music from the 13th to the 16th century", ℗ 1995 Analekta):

  3. Belle qui tient ma vie, Pavane
  4. Grundschritt:

    1-4[Schlag=halbe Note] Simple links
    5-8 Simple rechts
    9-16 Double links
    1-4 Simple rechts
    5-8 Simple links
    9-16 Double rechts

    Dieser Grundschritt ist hier zu sehen:

    Der Grundschritt ist auch Rückwärts auszuführen:

    Indem der Mann rückwärts und die Frau vorwärts (resp. auch umgekehrt) geht, können Drehungen entstehen:

    So kann der Tanz paarweise im Raum frei gestaltet werden:

    Versucht das Lied im Klassenverband von der Originalnotation zu singen (falls möglich mehrstimmig). Die Stimmanlage ist vierstimmig mit Superius (=Sopran), Contratenor [altus] (=Alt), Tenor und Bass(us), plus in der obersten Zeile die Tambourstimme. Beachtet, dass die Schlüssel im Superius, Contatenor und Tenor c-Schlüssel sind, im Bass steht der bekannte f-Schlüssel/Bassschlüssel:

    Das PDF der Noten kannst du hier öffnen.
    'Orchésographie', S.30r 'Orchésographie', S.30v 'Orchésographie', S.31r 'Orchésographie', S.31v 'Orchésographie', S.32r

    Pavane "Belle qui tient ma vie" (S.30r ff.), aus Jehan Tabourot (Thoinot Arbeau): "Orchésographie", Langres 1596 (2. Druck), vgl. online: https://ks.imslp.net/files/imglnks/usimg/3/31/IMSLP30806-PMLP15048-Orch%C3%A9sographie.pdf, aufgerufen am: 25.7.2021

    Könnt ihr das Stück sogar gleichzeitig singen und tanzen?

    Eine Aufnahme mit Gesang findest du hier (transponiert):

Quellen und weiterführende Literatur/Links